«Trinkwasser aus dem Bodensee ist ein Premiumprodukt.»

Fünf Fragen an Frau Susanne Geywitz, Leiterin Qualitätssicherung Wasser, St. Galler Stadtwerke und Leiterin Gewässerschutzlabor, Entsorgung St.Gallen

Die St. Galler Stadtwerke versorgen die Stadt St. Gallen effizient, wirtschaftlich und umweltschonend mit Trinkwasser. Sie stellen sicher, dass täglich genügend Wasser mit ausreichendem Druck in der notwendigen Qualität zur Verfügung steht. Das St. Galler Trinkwasser stammt zu 100 Prozent aus dem Bodensee. Das Wasser wird dem See in 60 Metern Tiefe entnommen und im Seewasserwerk Frasnacht zu Trinkwasser aufbereitet.

Um die hohe Trinkwasserqualität garantieren zu können, wird die Aufbereitung kontinuierlich überwacht. Laboranalysen bestätigen regelmässig die einwandfreie Qualität des St. Galler Trinkwassers. Kurzum: Trinkwasser aus dem Bodensee ist ein Premiumprodukt.

Frau Geywitz, Sie und ihr Team versorgen die Stadt mit wertvollem Trinkwasser aus dem Bodensee. Wie hat sich erstens die Zusammensetzung des Trinkwassers (Seewasser, Grundwasser, etc.) und zweitens die Technologie dahinter in den letzten 20 Jahren verändert?

Susanne Geywitz: Die Stadt St. Gallen wird zu 100 % mit Bodenseewasser versorgt. Grundwasser oder Quellwasser liegen nicht in ausreichenden Mengen und Qualität vor und werden daher nicht verwendet.
Der Bodensee ist ein nährstoffarmer See, dessen Wasser auch ohne Aufbereitung fast immer bereits Trinkwasserqualität aufweist.

Das Seewasserwerk Frasnacht ist seit 1998 in Betrieb. Dort wird das Wasser über mehrere Stufen mit Hilfe von Ozon, Sand- und Aktivkohlefilter zu Reinwasser aufbereitet. Die Qualität ist so gut, dass man im Jahr 2015 mit der Chlorierung des Trinkwassers aufhören konnte. Die mikrobiologische Qualität hat sich dadurch nicht verändert, der Geschmack des Wassers hat sich jedoch nochmals verbessert und Umwelt und Ressourcen werden dadurch geschont.

Ich habe für dieses Interview Daten der letzten Jahre ausgewertet. Das aufbereitete Trinkwasser ist in seiner Zusammensetzung seit 15 Jahren erstaunlich konstant.

In den 1960er Jahren war der Bodensee noch ein Problemfall. Durch die gemeinsame Anstrengung sämtlicher Anrainerstaaten konnte die Verschmutzung mit Nährstoffen, insbesondere Phosphat, erfolgreich reduziert werden, indem man die Kläranlagen ausgebaut hat. Doch die Arbeit geht uns nicht aus. Verstärkt im Fokus stehen derzeit menschgemachte Mikroverunreinigungen.

Das Bewusstsein für diese Verunreinigungen und die Kenntnisse über deren Gesundheitsschädlichkeit nimmt seit einigen Jahren immer mehr zu.

Auch im Bodensee finden wir zahlreiche Chemikalien, wie z.B. Pflanzenschutzmittel, Industriechemikalien und Arzneimittelwirkstoffe sowie deren Abbauprodukte. Einige dieser Chemikalien gehören zur Gruppe der «Forever Chemicals», die nicht in der Natur abbaubar sind, z.B. PFOS (Per-Fluor-Octan-Sulfonsäure) oder TFA (Trifluoracetat), über die die Presse kürzlich berichtet hat.
Die Werte im Bodensee liegen jedoch weit unter den gesetzlichen Höchstwerten der Schweizer Trinkwasserverordnung.

Eine neuere Herausforderung ist das rasante Wachstum der eingeschleppten Quagga-Muschel, die uns verschiedene Komponenten unter Wasser besiedelt. Den Fassungskorb in 60 m Tiefe müssen wir zum Beispiel regelmässig mit Tauchrobotern reinigen.

Neu geplante Seewasserwerke reagieren auf diese Herausforderungen durch neueste Aufbereitungstechnologien. Durch Ultrafiltration lassen sich unerwünschte Verunreinigungen sowie die Larven der Quagga-Muschel zurückhalten. Auch die Entnahmebauwerke werden so geplant, dass sie ohne grossen Aufwand von der Quagga-Muschel befreit werden können.

 

Im aktuellen Hitzesommer steht die Trinkwasserversorgung europaweit unter Stress. Welche Massnahmen können Herr und Frau Schweizer treffen, um einen möglichst verantwortungsvollen Umgang mit der Ressource Wasser zu erreichen?

Susanne Geywitz: Seit einigen Jahren ist der Trinkwasserverbrauch in St.Gallen trotz steigender Bevölkerungszahlen leicht rückläufig. Und auch wenn sich die Situation bei uns nach wie vor komfortabel präsentiert, findet doch eine zunehmende Sensibilisierung statt. Das Bewusstsein für Sparsamkeit steigt bei Bevölkerung und Wirtschaft und man pflegt einen verantwortungsvolleren Umgang mit Trinkwasser als früher.

Persönlich wünsche ich mir, dass die kostbare Ressource Trinkwasser noch mehr Aufmerksamkeit erhält. Dafür setzen sich die St. Galler Stadtwerke auch als Mitglied der internationalen Kommission AWBR (Arbeitsgemeinschaft Wasserwerke Bodensee-Rhein) ein.

Grosse Teile des Grundwassers und Oberflächenwassers in der Schweiz sind in Gefahr, durch Chemikalien so stark verunreinigt zu werden, dass sie nur mit hohem Aufwand in der Aufbereitung zu Trinkwasser verarbeitet werden können. So muss beispielsweise Biel in das neue Seewasserwerk eine energieintensive Umkehrosmose einbauen, damit der erlaubte Höchstwert für Pestizide unterschritten werden kann.

Schadstoffe benötigen oft mehrere Jahrzehnte, bis sie Grundwasserentnahmestellen erreichen. Bei sinkenden Grundwasser-, See- und Flusspegeln wird die Schadstoffkonzentration zudem automatisch steigen, da der Verdünnungseffekt geringer wird.

Obwohl wir in St.Gallen und der ganzen Schweiz noch über ausreichend Trinkwasser verfügen ist ein sorgsamer Umgang damit dennoch wichtig. Beispielsweise können wir alle einen wichtigen Beitrag leisten, indem wir etwa auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und anderen Giften verzichten.

 

Wie hoch ist der Anteil des entnommenen Seewassers, welcher wieder zurück in den Bodensee fliesst, nachdem es als Abwasser gereinigt wurde?

Susanne Geywitz: Die ARA Hofen im Nordosten der Stadt leitet etwas mehr als die Hälfte des St. Galler Abwassers zurück in den Bodensee.

Das Abwasser wird über die gemeinsame EMV-Anlage (Elimination von Mikroverunreinigungen) auf der ARA Morgental zwischen Arbon und Steinach in den Bodensee geleitet. Die EMV-Anlage ist seit Januar 2022 im Regelbetrieb und eliminiert einen Grossteil der oben bereits erwähnten Mikroverunreinigungen. Von Anfang an konnte sie die von den Behörden geforderte Eliminationsleistung von über 80 % erbringen.
Für unsere Trinkwasserressource Bodensee ist das eine sehr gute Nachricht.

 

Welche interessante Fakten liefern uns die chemischen Auswertungen des Abwassers der Stadt St. Gallen?

Man kann schon einiges aus den Analysen des Abwassers herauslesen. Seit Februar 2022 sind wir beispielsweise Teil eines Projektes des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) zur Überwachung von Covid-19-Inzidenzen mittels Abwasseranalysen. Diese Daten findet man seit Anfang Juli auch auf der Covid-19-Seite des BAG. Die Viruslast im Abwasser korreliert gut mit den Inzidenzen in der Bevölkerung. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es in Zukunft Abwasser-Monitoring-Programme geben wird, die Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung zulassen.

 

Wie schätzen Sie die Entwicklung des Bodensee-Wasserpegels in den letzten Jahren ein? Müssen wir uns auf kritischere Extremwerte einstellen und welche Auswirkungen würden sich daraus auf unsere Trinkwasserversorgung ergeben?

Susanne Geywitz: Der Bodenseepegel bewegt sich derzeit (Anfang August 2022) in Richtung Minimalwert. Über das ganze Jahr 2021 gesehen lag der Seespiegel um den langjährigen Mittelwert. Als grösster Trinkwasserspeicher Europas versorgt der Bodensee mit seinen 17 Seewasserwerken ca. 5 Millionen Menschen mit Trinkwasser. Täglich werden ihm dafür rund 500 000 m3 Wasser entnommen, was 2,4% der Zuflussmenge entspricht, die der Alpenrhein im Durchschnitt liefert. Die Entnahme dieser Menge senkt den Pegel um weniger als einen Millimeter. Die Menge, die durch Verdunstung und Abfluss verloren geht, ist rund 60-mal höher.

Es besteht daher keine Gefahr, dass die Wasserentnahme in Zukunft eingeschränkt werden wird. Die Entnahmestellen der Seewasserwerke liegen zudem in 40-60 m Tiefe. Wahrscheinlich werden in Zukunft sogar noch mehr Menschen durch den See versorgt werden müssen. Sinkende Grundwasserspiegel, versiegende Quellen und die zunehmende Verschmutzung der Trinkwasserzonen können für viele Gemeinden noch zu einem Problem werden.